Georg Conrad Maickler

aus der Festschrift „50 Jahre Maicklerschule 1952 – 2002“
von Dr. Ralf Beckmann

Er hat nicht allzeit in Rosen gesessen

Lebensstationen von Georg Konrad Maickler

Er sei zu einem Fellbacher Denkmal geworden, schreibt Otto Borst zur nachhaltigen Erinnerung an einen Mann, der nun seit über dreieinhalb Jahrhunderten unter der Erde liegt. Erstaunlich frisch ist die Erinnerung an diesen Pfarrer und Dichter, mit dem sich die Ortsgeschichte immer wieder beschäftigt – wie auch im Herbst 2002 die Baden-Württembergischen Literaturtage. Nicht zuletzt lebt er in der Erinnerung dieser Schule fort.

Dass wir heute über den Pfarrer und seine Zeit heute recht gut Bescheid wissen, verdanken wir jedoch nicht so sehr ihm selbst. Die wichtigste Hilfestellung hierfür hat ein anderer Fellbacher Pfarrer gegeben, Karl Friedrich Werner. Werner war Pfarrer in Fellbach von 1849 bis 1872 und Herausgeber der Basler Sammlungen für Liebhaber christlicher Wahrheit und Gottseligkeiten. Seine dort ab 1855 in drei Teilen erschienene Maickler-Biographie knüpft in Aufbau und Diktion stark an die Lebensläufe an, die er als Chronist der hiesigen pietistischen Gemeinschaften und Biograph ihrer führenden Köpfe verfasst hatte. Nicht unbeabsichtigt steht deshalb das Bild vom Saatkorn und seinem fruchtbringenden Wachstum als eine in der Erbauungsliteratur gängige Metapher den Beschreibungen des frühen Pietismus als Leitmotiv voran, so ein wichtiger Hinweis von H.-V. Findeisen[1]. Alle späteren Maickler-Biographien zehren von Werners Darstellung.[2]

Was hat der Pfarrer selbst an Spuren hinterlassen? Relikte und Erinnerungsstücke an sein Wirken wie auch schriftliche Hinterlassenschaften führen uns in eine Zeit, die sich uns heute schon sprachlich nur schwer erschließt. Vor allem in seinen veröffentlichten Werken tritt uns der Dichter entgegen, das erste Mal 1599 mit Epulum illustre. Doch seine Werke sind nur in sehr geringer Auflage erschienen und heute kaum noch zu finden.

Der Pfarrer

Maickler war Pfarrer von 1610 bis 1647[3], d.h. fast über die ganze Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618 – 1648). In dieser noch tief religiös geprägten Zeit nahm der Pfarrer eine zentrale Stellung in der Gemeinde ein. Er war Seelsorger, Chronist, geistiges und – in Bezug auf die Schule, deren Oberaufsicht er inne hatte – auch weltliches Haupt der Gemeinde. Unruhige Geister wie die Wiedertäufer, die in den nachreformatorischen Jahrzehnten immer noch eine Herausforderung darstellten, suchte er zurück in den Schoss der Amtskirche zu treiben. Doch wurde mit „Ketzern“ mild verfahren. Erst im Dreißigjährigen Kriege[4] gab es in Fellbach Hexenverbrennungen.

Maickler machte sich beliebt bei der Gemeinde und stiftete bzw. veranlasste[5] 1611 zum Gedenken an eine Pestepidemie der Jahre 1596-97 auch ein Denkmal aus Sandstein. Die Beerdigung ihrer 310 Opfer hatte den ummauerten Wehr-Kirchhof überbelegt, sodass Maicklers Vorgänger Maurer und Vischess (übrigens selbst ein äœpoeta ingeniosissimusâ[6]) endlich 1605 in unmittelbarer Nachbarschaft einen neuen Friedhof mit Glockenturm für das Totenglöcklein errichten liessen, – bevor letzterer 1607 selbst Opfer der Pest wurde[7].

Dies Denkmal, eine Kreuzigungsgruppe[8], überlebte alle Zeitläufte. Der letzte „Dorfschultes“ August Brändle ließ sie 1925 vom alten Standort unter freiem Himmel in eine offene Halle umsetzen – diese steht noch auf dem Alten Friedhof. 1972 kam sie von dort in den geschützten Turm der Lutherkirche. Der pietistisch geprägte August Brändle hatte anlässlich der ersten Schutzmaßnahme geschrieben: So steht nun das alte Denkmal mit seiner ernsten Todesmahnung und seiner tröstlichen Lebenshoffnung wieder neu aufgerichtet vor uns und lädt uns ein zum ernsten Nachdenken über unsere zeitliche und ewige Bestimmung.[9]

Im Jahr seines Amtsantritts als Vikar in Schorndorf 1603 hatte Maickler Margarete Müller[10] aus Waiblingen geheiratet. Sie schenkte 1611 und 1614, also erst in ihrer Fellbacher Zeit, zwei Töchtern das Leben. In der Amtsstadt Schorndorf, bereits mit zwei „poetae laureatae“[11] ausgezeichnet, empfing auch Maickler diesen Dichtertitel. Werner schreibt[12], ihm sei „von Dresden aus das Diplom als gekrönter Dichter zugesandt“ worden. Maickler dürfte den Titel also dort nicht selbst im Empfang genommen haben.

Doch die ersten Jahre seines Amtes ging Maickler es geruhsam an. Die Welt schien noch in Ordnung, er besaß ein Gärtlein, dessen Gartentor er mit dem Spruch „Diese Ruhe hat uns Gott verschafft“ verzierte[13]. Dort schrieb er weiter an seinen Versen.

Über diese Ruhe brach das ganze Elend des Dreißigjährigen Krieges herein. Die ersten Jahre gab es wohl keine direkten Kriegseinwirkungen auf Maicklers Gemeinde. Doch folgt man Werners Biografie, so hat der Pfarrer den Gang der Dinge nicht nur als bloßer Beobachter verfolgt. „Denn er wusste wohl, dass es bei diesem Kriege nichts anderes galt, als die Vernichtung der ev. Kirche, die seinem Herzen so teuer war.“[14] Als der württembergische Herzog Magnus bei der Schlacht von Wimpfen 1622 zu Tode kam, verehrte Maickler ihm als einem Verteidiger des rechten Glaubens denn auch ein Heldengedicht unter dem Titel „Der Bogen Jonathans“.

„Ach, dass ich Wasser genug hätte …“

Der Chronist

Mit seinen Einträgen in das Ehe-, Geburten- und Sterberegister[15] gibt Maickler uns heute einen lebendigen Einblick in diese Zeit der Pestepidemien und Kriegesschrecknissen. Was er niederlegte, ist so gut wie das einzige, was uns für die Periode von 1634 bis 47 aus Fellbach bekannt ist, denn Urkunden sind dazu nicht überliefert[16]. Otto Borst meint gar, hier in seinen Kirchenbüchern liege Maicklers größte literarische Leistung. Wünschenswert wäre es daher, wenn seine Eintragungen endlich einmal vollständig übertragen und veröffentlicht werden könnten.

Nicht zuletzt die Stationen seines eigenen Lebens lassen sich anhand der Kirchenbücher genau nachzeichnen. Besonders auch seine vier Ehen und seine zahlreichen Nachkommen, von denen nur wenige das Erwachsenenalter erreichten. Dies lag an der üblichen hohen Kindersterblichkeit, verbunden mit den Pestepidemien und dem barbarischen langen Krieg.

Sein Vorgesetzter, Spezial Kieß, resümierte denn auch an Maicklers Grab, „… daß der Ehestandt ein Wehestand seye“. Er meinte dies nicht allgemein-menschlich, sondern in einem zeittypischen Sinne: Mit dem Kriegsausbruch war auch jedes harmonische Eheleben infrage gestellt. Doch nicht die Kriegsdurchzüge, sondern die Pest raffte seine erste Ehefrau dahin. Der Ortschronist notierte in eigener Sache: „Den 14. September 1626 starb Margarethe, mein, M[agister] Georg Conrad Maiclers, Pfarrers allhie, ehelich herzliebe Hausfrau über 23 Jahr, ihres Alters im 46ten. Gebar mir sieben Kind, darunter noch drei […] bei Leben, solang es Gott gefällt. Ist mir eine getreue Gehilfin gewesen, gegen Jedermann freundlich und friedlich, mit ihrem Glauben und Gottesdienst eifrig, in Kreuz und Leiden, auch im Tode selbst, sehr geduldig […]“ Bemerkenswert sind aus heutiger Sicht, welche weiblichen Tugenden Maickler lobend hervorhebt.

„Die siebensaitige Zither“

Der Dichter

Doch sein Fleiß gilt in jungen Jahren neben dem Pfarramt dem Dichten. Bereits in Tübingen wie in Bebenhausen hatte er sich mit seinen Werken hervorgetan. „Die fromme Susanna“ ragt vielleicht ein wenig unter seinen Werken heraus. Wie die anderen Werke auch war es die Umsetzung biblischer Geschichten in lateinische Verse, geeignet dafür, in geselliger Runde vorgetragen zu werden – und den Eleven der Theologie zur Belehrung und Lektüre zu dienen. Dieser Tätigkeit des Dichtens blieb er auch in Schorndorf und Fellbach treu, pflegte weiterhin Kontakte zur württembergischen Ehrbarkeit.

Aus heutiger Sicht verblüfft jedenfalls, daß Maicklers dickster Band, die „Poemata Sacra“, im Jahre nach der Nördlinger Schlacht erschien, als Maickler für einige Wochen hinter die Mauern der Reichsstadt Esslingen flüchtete. Keine einzige Urkunde hat sich aus dieser Notzeit erhalten, aber Maickler publizierte einen dicken Band! Werner dazu: „Maicklers Erquickung in diesen trübseligen Zeiten war nächst dem Worte Gottes das geistliche Lied. In dem trostlosen Jahre 1635 gab er seine geistlichen Gedichte, in einem artigen Bändchen gesammelt und vermehrt heraus und widmete sie den Esslinger Herren zum Danke für die erfahrene Gastfreundschaft.“17]

Für uns heute ist Maickler als Dichter in mehrfacher Hinsicht sperrig. Zunächst natürlich in sprachlicher Hinsicht: Geehrt wurde mit dem Dichterlorbeer 1603 ein Verseschmied, der sich in lateinischen Hexametern ausdrückte. Maickler knüpfte an seine Tübinger Vorbilder Frischlin und Crusius an, – auch bei seinen Themenstellungen blieb er im Kreise der Erlauchten. Unter „Epulum illustre“, zu Deutsch „Festliches Mahl“ erhofft man sich z.B. heute vielleicht Trinklieder, Verse zum Thema Essen und Trinken aus seiner Tübinger Studentenzeit anzutreffen. Fehlanzeige. Wie ein roter Faden ziehen sich biblische Themen durch sein Werk; nur ganz selten enthüllen sich dem Eingeweihten Hinweise auf tatsächliche Geschehnisse. Ein dritter Hinweis auf die Trennung seiner Dichtkunst vom wirklichen Leben wurde oben schon gegeben: Im Jahr nach den schlimmsten Kriegsereignissen in Folge der Nürtinger Schlacht, als nach 10 Jahren erneut eine schlimme Pestwelle Fellbach heimsuchte, erschienen seine „Poemata sacra“ in einem Sammelband. Anders als weltfremd, der irdischen Welt völlig entrückt, kann man diese Art Dichtkunst aus heutiger Sicht wohl schwerlich charakterisieren.

Nur auf die indirekteste denkbare Art kommen die Lebensumstände seiner wechselvollen Zeit in seinen Dichtwerken vor. Ãußerst selten sind Anlässe und Geschehnisse genau vermerkt. Die neue Zeit des Friedens jedenfalls leitete Maickler mit seinen Versen ein. Am Ostertag 1642 lud der Waiblinger Vogt Wolfgang Zacher zur Einweihung eines prächtigen Neubaus die Ehrbarkeit aus Schultheissen und Pfarrern nach Waiblingen.[18] Neben Musik trug auch der gekrönte Dichter Maickler einige seiner Poemata zur geselligen Runde bei. Einer der Verse ist unter dem Titel „Anfang zur Newen Statt Waiblingen“ in Zachers Chronik[19] enthalten, signiert in Latein und in Deutsch: „Dies setzt zur Ehren und Gedächtnus auff“ Georg Conrad Maickler, Pfarrer zu Fellbach, Kay. Gekrönter Poet.“

Erst in seinem letzten Werk, die „Threni Jeremiae“ werden die Ereignisse der Zeit durch die biblische Thematik sichtbar. Ein reicher Herbst- und Erntesegen 1645[20] und abziehende Truppen ließen einen Hoffnungsschimmer am Horizont erscheinen. Maickler sprach im Vorwort die Nördlinger Schlacht an und die Bevölkerungsdezimierung auf den sechsten Teil: „Hätte˜ ich hundert Zungen und eine eherne Stimme, so könnte ich doch nicht allen Jammer und alle Greuel beschreiben, die ich zum Teil selber miterlebt.“[21]

„…hat nicht allzeit in Rosen gesessen“ (Kieß)

Sein Tod und der Frieden

Zwei Jahre darauf starb Maickler. Otto Borst weist darauf hin, dass dieser Tod in einem direkten Bezug zum Kriegsende stand: „Als er erfuhr, dass die Besatzungsarmeen […] im Aufbruch begriffen seien, begab sich Maickler zu seiner Sicherheit nach Cannstatt. Dort starb er am 27. Mai 1647 unerwartet am Schlagfluß.“[22] Im Angesicht des 1648 im Westfälischen Frieden dann besiegelten Kriegsendes also beendete dieser Seelenhirt sein Leben. Die Gemeinde holte ihn im Sarg von Cannstatt heim und beerdigte ihn „mit grossem Hertzensbetrübnuß“[23] auf dem Alten Friedhof. Das Grab dort hat sich leider nicht erhalten.

Sein Vorgesetzter, Dekan Kieß, würdigte ihn in der Leichenpredigt:

Er hat aber doch in solchem drumb die Zeit nicht gar mit müssig gehen hingebracht /

Sondern mehstenteils zum Studiren und Schreiben zugebracht /

Weil er aldo die bequembste Ruhe gefunden /

Und in seinen Meditationibus destoweniger perturbiret worden /

Gestalten dann er undterschiedliche Scripta Poetica in offentlichen Truck kommen lassen /

Deren die Studierende Jugend zurzeit sich nützlich zu bedienen weiß /

Sein erstes war / Historia Susanna /

[…]

Es hat aber unser lieber Herr Maicler nicht allein die Bibliotheken mit Büchern /

sondern Gott auch seinem Himmel /

mit schönen Paradiespfläntzlein unnd Kindern wollen helffen zieren /

in dem er auch ein Ehmann worden /

doch aber in diesem Stand zugleich erfahren /

daß der Ehestand ein Wehestand seye /… [24]

Die dankbare Gemeinde stiftete ihrem Pfarrer, der ihr 37 Jahre lang durch alle schweren Zeiten hindurch zur Seite gestanden war, ein Wandbild. Dieses Holz-Epitaph ziert bis heute die Fellbacher Lutherkirche. Es ist ein aufschlussreiches Dokument seines Wirkens.

Im untersten (Text-)Teil heißt es dort, er habe „die Tage seines Lebens gedienet und seinen vier Frauen zehn Kindern nützlich vorgestanden, Hat nach ausgedauerten 3 Hauptsterben alhie, und anderen Unglück uff obiggemelten Tag sein Leben seeliglich geendet.“

Darüber findet sich der Gewürdigte in Form eines Stifterbildes mit seinen vier Frauen und einigen Kindern. Den Hauptteil, umrahmt von Halbsäule, nimmt die Darstellung der Auferstehung Christi ein. Darüber findet sich ein Porträt des Gewürdigten in zeittypischer Halskrause mit lateinischer Bilderläuterung: „Haec est Maiclerii …“, zu Deutsch: „Dies ist das wahre Antlitz des Pfarrers Maickler, bekannt vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne. Wenn Württemberg seinen Geistlichen etwas verdankt, dann dem Vater Fellbachs.“ Es ist dem einzigen Bildnis nachempfunden, das wir von Maickler besitzen.[25]


[1] Hans-Volkmar Findeisen, Pietismus in Fellbach 1750 – 1820, Diss. Tübingen 1985, 22ff zu Werner, hier 24f

[2] K.-F. Werner, Georg Konrad Maicler, Pfarrer in Fellbach, in: Sammlungen für Liebhaber christlicher Wahrheit und Gottseligkeit, 1855 ff. Wie zu seiner Zeit üblich, hat Werner seine Quellen nicht angegeben. Er dürfte sich im Wesentlichen auf die Kirchenbücher gestützt haben.

[3] Das gelegentlich angegebene Todesdatum 1646 beruht auf einem Irrtum im Heimatbuch von 1958.

[4] Brigitte Rieger, Georg Konrad Maickler, Zul.Arbeit 1965, S. 46

[5] Stifter und Künstler sind nicht überliefert.

[6] Hb, S. 252

[7] Hb, S. 252

[8] Beschreibung in: Werner, S. 244 und S. 254

[9] Masch. Ms, StAF

[10] Quelle: Familienregister der Kirchenpflege; daher ist dies sicher die richtige Version.

[11] Es handelt sich um Johannes Trescher (1583-1648) und Melchior Sylvester Eckardt (1600-1650). Schriftl. Auskunft Landeskirchliches Archiv Stuttgart 11.12.01

[12] Werner, S. 251

[13] Hier folge ich Borst; lt. Werner, S. 314 erst ab 1644. Wo befand sich dieser Garten ? Maicklers Witwe hat laut Werner, S. 314 den Garten der Pfarrei gestiftet.

[14] Werner, 275

[15] Taufbuch ab 1558, Ehebuch ab 1565 (also nach dem Interim), Totenbuch ab 1582 (lt. Hb S. 233)

[16] sc. OAB S. 438

[17] Werner, S. 288

[18] vgl. Ralf Beckmann, Das Große Haus in Schmiden, Fn 367 mit Verweis auf Glässner 1983, S. 164ff

[19] fol 254 Zacher-Chronik = WLB

[20] Werner, S. 314

[21] n. Borst S. 107; vgl. auch Werner S. 315

[22] Borst 109. Interessant wäre natürlich die Antwort auf die Frage, ob Turenne 1645 in Fellbach war.

[23] Kieß, Leichenpredigt

[24] Kieß Leichenpredigt, S. 66

[25] Die Vorlage findet sich in manchen Exemplaren der ‚Poemata Sacra‘ von 1635, aber nicht in demjenigen, das im Fellbacher StA überliefert ist.